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Melancholie, die nicht bedrückt

Aktualisiert: 12. Juli 2022


Friedrich Gauermann – Der ruhende Ackersmann, Ölgemälde auf Holz
Friedrich Gauermann – Der ruhende Ackersmann

Auf dem Gebiet der biedermeierlichen Tiermalerei gehört Friedrich Gauermann (1807-1862) mit Abstand zu den namhaftesten Vertretern. Der aus dem niederösterreichischen Miesenbach stammende Sohn des Malers Jakob Gauermann (1772-1843) liess sich in Wien akademisch ausbilden, schulte sich jedoch eigenständig tüchtig weiter im Rahmen von Studienexkursionen, Wanderungen und Reisen, auf denen er die Natur mit Adleraugen beobachtete und ausgiebig studierte.


Schon früh war Friedrich Gauermann als Landschafts- und Tiermaler bei der Wiener „High Society“ begehrt – wer etwas auf sich hielt, leistete sich einen Gauermann. Er nahm Aufträge von hoher Stelle entgegen und entfaltete im Zuge dessen eine ungeheure Schaffenskraft. Er bewegte sich in prominenten Künstler-Kreisen und zählte die seinerzeit einflussreichsten Maler zu seinen engen Freunden. Gauermann orientierte sich stilistisch an der alten niederländisch-flämischen Malerei, weshalb er aus heutiger Sicht als Gründer eines seinerzeit neuen „Wiener Landschaftsnaturalismus“ gilt. Dieser Einfluss ist auch im hier vorgestellten Gemälde erkennbar. Es ist eine aussergewöhnlich qualitätvolle Trouvaille aus Gauermanns Spätwerk.


Das 43×55 cm grosse Ölgemälde aus parkettiertem Mahagoni-Holz ist im Jahre 1854 entstanden und zeigt – von Gauermann persönlich formuliert – Folgendes: «Ein alter Mann sitzt auf dem Pflug, einen Krug in der Hand; ein Mädchen steht daneben. Ein brauner Ochs steht ausgespannt auf dem Hügel, ein Schimmel, ein Schaf und eine Ziege liegen daneben bei einem dürren Baum, links Ferne, graue Luft.» Für das Gemälde werden unterschliedliche Kurztitel angeführt, so etwa „Der alte Mann auf einem Pflug ausruhend“ oder „Der ruhende Ackersmann“. Die Szene ist im Wiener Becken angesiedelt, im Hintergrund blickt man auf die Hohe Wand.


Die Malerei ist so lupenrein, so hochvollendet, farblich so betörend, die Komposition so perfekt in Schwerpunktgebung und Tiefenwirkung, dass es einen selbst beim flüchtigsten Anblick förmlich in den Bann zieht. Selbst der renommierte Gauermann-Biograf Rupert Feuchtmüller würdigt das vorliegende Gemälde als „eine Idylle von seltener Klarheit“.

Mit jeder Betrachtung der Szene variieren die Empfindungen. Es ist denn auch weit mehr als nur ein romantisches Stück Malerei, welches eine x-beliebige bäuerliche Szene vor 170 Jahren zeigt – es steckt in Tat und Wahrheit voller Melancholie, die aber nie bedrückend wirkt.


Der Ochse, der Schimmel, das Schaf und die Ziege – sie alle sind sichtlich müde und erschöpft, scharen sich um den kümmerlichen Rest eines vom Blitz zerschlagenen Baumes. Dem alten Bauern sieht man die jahrzehntelange Schwerarbeit an, er ruht sich auf dem Pflug aus und spricht mit der jungen Frau, womöglich seine Tochter. Die über der fernen Landschaft im Hintergrund bedrohlich sich formierende Gewitterstimmung führt Gauer- mann genauso meisterhaft aus wie die Hauptszene im Mittelgrund. Die Qualität seiner Malerei schlägt sich allein darin nieder, dass das Gemälde aus jeder Distanz fotografisch wirkt, ob aus 3 Metern oder 10 Zentimetern Entfernung betrachtet. Auch dem kleinsten Detail, und sei es bloss der Mist am Schenkel des Ochsen, widmet Gauermann höchste Aufmerksamkeit.


Der Österreichische Kunstverein präsentierte das Gemälde an seiner Ausstellung im April 1855 im Schönbrunner-Haus an der Tuchlauben. Es befand sich zu jenem Zeitpunkt im Besitze eines gewissen Josef Tilgner.

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