Die Schweiz ist das Eisenbahnland schlechthin. Hier haben bereits im 19. Jahrhundert Ingenieure gewirkt, welche durch die enormen Herausforderungen der alpinen Topografie höchst anspruchsvolle Aufgaben zu bewältigen hatten. Sie waren Pioniere des Eisenbahnbaus, deren Wissen und Erkenntnisse zum Grundvokabular für den weltweiten Eisenbahnbau geworden ist.
Zu diesen richtungsweisenden Technikern und Ingenieuren gehört der im nebenan gezeigten Ölgemälde porträtierte Schweizer Eisenbahnpionier Achilles Thommen. Er war als Fachmann massgeblich an einigen der prestigeträchtigsten Eisenbahnbauprojekte der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts beteiligt.
Der 1832 in Basel geborene Sohn eines Küfers studierte in Basel Geschichte, Kunstgeschichte sowie Mathematik und schliesslich Maschinenbau am Karlsruher Polytechnikum. Ab 1853 arbeitete Thommen für die Schweizerische Centralbahn und war am Bau der neuen Linie Bern-Olten-Luzern beteiligt. Sein Vorgesetzter war Eisenbahn-Bauingenieur und Architekt Carl von Etzel (1812-1865). Dieser wurde 1857 zum Direktor der Gesellschaft Kaiser Franz Joseph-Orientbahn ernannt. Thommen folgte seinem Vorgesetzten nach Österreich und wurde in Pettau stationiert. Hier lernte er seine zukünftige Frau Emma Bratanisch kennen, die er 1859 ehelichte.
Als Franz Joseph Anfang der 1860er-Jahre Etzel mit der Brennerbahn beauftragte, übernahm Achilles Thommen die Leitung für die Trassierung und den Bau der Strecke. Thommen schlug eine andere Linienführung vor als sein Vorgesetzter Etzel. Letzterer konnte sich zwar durchsetzen, doch waren sich Fachleute später weitgehend einig, dass Thommens Vorschlag einfacher auszuführen und vor allem viel kostensparender gewesen wäre.
Unter Thommen wurden erstmals in der Geschichte der Eisenbahn Kehrtunnels in einem Hochgebirge konzipiert und ausgeführt, um die ansteigende Strecke zu bewältigen. Das Prinzip war zuvor erst einmal – bei der Schwarzwaldbahn unter deutlich einfacheren Bedingungen – angewendet worden. Damit war Thommen einer der wichtigsten Vorreiter für den weiteren alpinen Eisenbahnbau, auch die berühmten Kehrtunnels am Gotthard gehen demnach auf Thommens Pionierleistung zurück. Nach dem Tod Carl von Etzels im Mai 1865 übernahm Thommen gemeinsam mit Eisenbahningenieur Wilhelm Pressel die Bauleitung bis zur Fertigstellung der Brennerbahn. 1867 erhielt der Schweizer den Kaiser-Franz-Josephs-Orden verliehen.
Danach war er zwei Jahre lang Baudirektor der neu geschaffenen Österreichisch-Ungarischen Staatseisenbahngesellschaft. Sein Eifer und seine enorme Arbeitsamkeit forderten ihren Tribut: 1869 musste Thommen sein Amt aus gesundheitlichen Gründen niederlegen. Er siedelte um nach Wien, wo er zum königlichen und 1883 schliesslich zum kaiserlich-königlichen Oberbaurat ernannt wurde. Er hatte hohe leitende Positionen im Verwaltungsrat mehrerer Bahn- und Industriegesellschaften inne. Beim Bau der Eisenbahnstrecken am Arlberg und am Simplon wurde Thommen als Gutachter herbeigezogen, genauso für die Umbauten der Knotenpunktbahnhöfe in Bern, Luzern, Basel und Zug. Am Gotthardtunnelprozess fungierte er als Schiedsrichter.
Am 20. August 1893 starb Achilles Thommen im Alter von erst 61 Jahren nach längerer Krankheit in Maria Schutz am Semmering. Aus Nachrufen geht hervor, dass der Schweizer allseits als hervorragender, tüchtiger und bewährter Techniker geschätzt worden ist. Obschon Thommen zeitlebens stolz war, ein Schweizer zu sein und sich bis zur letzten Stunde ganz als solcher fühlte, war er in der Kaiserstadt Wien eine bekannte, hoch angesehene Persönlichkeit und bestens integriert.
Das hier gezeigte Gemälde stammt vom Wiener Maler Ludwig Graf (1838-1894). Graf studierte Malerei an der Wiener Akademie der bildenden Künste bei Christian von Ruben. Nachdem sich Graf zunächst auf die Historienmalerei fokussierte, wechselte er zur Genremalerei. Ab 1873 schliesslich betätigte sich Ludwig Graf hauptsächlich als Porträtmaler. Aus dieser Zeit stammt denn auch das vorliegende Ölgemälde, welches um ca. 1890 entstanden sein dürfte.
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