(Artikel aus der "Zuger Zeitung" vom 14. Oktober 2022 von Andreas Faessler)
Der 27. April 1879 war ein grosser Tag für die Wiener und das gesamte Volk Österreichs. Anlässlich des 25. Vermählungstages des Kaiserpaares Franz Joseph und Elisabeth sollte an diesem Sonntag ein pompöser Festzug abgehalten werden, wie ihn das Kaiserreich in seiner Geschichte noch nie gesehen hatte. Nicht nur sollte es ein Huldigungszug für das Herrscherpaar sein, vielmehr war es eine Widmung Wiens an sich selbst. Es war die Blütezeit der Industrialisierung, und die Kaiserstadt stand in vollem Aufschwung.
Der Startpunkt des monumentalen, fünf Stunden dauernden Festzugs mit rund 14'000 Mitwirkenden lag beim Pratergelände. Er führte über die Jägerzeile – damals noch eine Edelmeile, heute Praterstrasse genannt – zur Ringstrasse und fand auf dieser seine Fortsetzung entlang all der neu errichteten Prachtbauten.
Sämtliche Gewerbezweige wurden im Rahmen dieser Parade repräsentiert: Handel, Wissenschaft, Industrie, Kunst... «Vorzeigeelement» des von langer Hand geplanten Festzuges jedoch waren rund 40 thematische Gruppen, bestehend aus über 2000 Teilnehmenden, welche in historisierender Aufmachung mit kunstvoll konstruierten Festwagen die Zeit der Renaissance hochleben lassen sollten. Konzipiert und gestaltet hat das alles kein Geringerer als Hans Makart, bedeutendster Historien- und Dekorationsmaler der Wiener Gründerzeit.
Die Festkommission, welcher auch Makart angehörte, stellte für diese gewaltige Aufgabe eine illustre Gruppe an ausführenden Künstlern zusammen, darunter den bedeutenden Wiener Architekten Otto Wagner, welcher für Aufbau und Ausschmückung des Festgeländes verantwortlich zeichnen sollte. Für eine weitere Hauptaufgabe, namentlich der Zeichnung sowie Anfertigung der historistischen Kostüme für die 40 thematischen Gruppen, wurde der Dekorationsmaler Eduard Stadlin aus Zug beauftragt.
Dass ein Zuger Landsmann massgeblich für das gloriose Gelingen eines Jahrhundertereignisses im Habsburgischen Kaiserreich beigetragen hat, dürfte sich heute der allgemeinen Kenntnis entziehen. Wie also kommt es dazu, dass ein einfacher Bürger Zugs vor knapp 140 Jahren in der Kaiserstadt Wien auf Augenhöhe mit den bedeutendsten Künstlern der Zeit einen Festzug für das allerhöchste Paar gestaltet hat?
Tageszeitungen von damals Aufschluss. Die Sichtung versprengter Beiträge über Eduard Stadlin lassen sein Leben wenigstens in den Grundzügen nachzeichnen.
Das offenbar Tragische: Sein unermüdlicher Einsatz für einen gelungenen Huldigungsfestzug in Wien dürfte für seinen unerwartet frühen Herztod im Alter von gerade mal 37 Jahren mitverantwortlich gewesen sein.
Am 2. Februar 1845 wurde Eduard Stadlin als Sohn vom gleichnamigen Zuger Landschaftsmaler Eduard Senior (1812–1884) geboren. Er dürfte sich entschieden haben, in die Fussstapfen seines Vaters zu treten, und strebte eine Künstlerlaufbahn an. Noch 1870 muss der offenbar finanziell nicht auf Rosen gebettete Eduard Stadlin in Zug gewohnt haben, zumal das örtliche Amtsblatt im Dezember dieses Jahres eine Zahlungsunfähigkeit Stadlin Juniors publizierte.
Der Maler gehörte in Zug zu einem illustren Kreis von fünf Männern, die sich regelmässig an Sonn- und Festtagen zu einer fröhlich-geselligen Runde trafen. In dieser Gruppe waren auch ein späterer Kantonsrat und ein Kantonsrichter. Die Zusammenkünfte sollen ab 1872 nicht mehr stattgefunden haben, schreibt eines der ehemaligen Mitglieder 1898 in der Zuger Lokalpresse. Eduard Stadlin dürfte bald nach Auflösung dieser Runde nach München gegangen sein, wohl um sich dort weiterzubilden.
Stadlin wurde Mitarbeiter des königlich-bayerischen Hofmalers Ferdinand Knab und wirkte demnach im Umfeld König Ludwigs. In dessen neuen Schlössern und im Wintergarten soll Stadlin historisierende Szenen mit kostümierten Menschen nachgestellt und gemalt haben. Damit eignete er sich bereits ein solides Rüstzeug für seinen späteren Grossauftrag in Wien an. Hier ist Eduard Stadlin gemäss Aufzeichnungen im Jahre 1877 eingetroffen – er hat laut Publikation in der «Neuen Zürcher Zeitung» eine Stelle als Kostümier am kaiserlichen Hoftheater erhalten – und konnte sich in der Kunstszene innert Kürze als Dekorationsmaler mit dem feinen Auge für Ornamentik einen Namen machen. Er erhielt namhafte Aufträge für das Kunstgewerbe gleichwie für öffentliche Anlässe, wo sein Dekorationsgeschmack und sein Arrangiertalent hochgefragt waren.
Allerdings muss der Zuger sich selber im Weg gestanden haben, was eine angemessene Integration in den erlesenen Wiener Kunstkreis betraf. So soll er – vielleicht typisch schweizerisch – eine ausgeprägt unabhängige Gesinnung an den Tag gelegt und sich nie in ein Korsett zwängen lassen haben. Stadlin hat aus dieser persönlichen Haltung der völligen Selbstständigkeit nie einen Hehl gemacht, soll zudem von herrischer Natur gewesen sein, wodurch er nicht selten aneckte.
So blieb die Anerkennung seitens der Wiener Kunstelite aus, was den Zuger innerlich stark verbittert haben muss. Es ist naheliegend, dass sich zu dieser ablehnenden Haltung der Wiener Künstler auch noch eine grosse Portion Missgunst gesellte, zumal der zugezogene Schweizer aus dem unbedeutenden Zug von der Festkommission mit einer der prestigeträchtigsten Aufgaben für die Umsetzung des Festzuges betraut worden war.
Umso energischer und ehrgeiziger machte sich Eduard Stadlin daran, diesen Mammutauftrag zur allerhöchsten Zufriedenheit aller umzusetzen. Unweit des Ateliers seines Vorgesetzten Hans Makart an der Gusshausstrasse bekam Stadlin in einem Trakt des ehemaligen Gusshauses eine grosszügige Arbeitswerkstatt zur Verfügung gestellt.
Von hier aus koordinierte der Zuger in Alleinregie und als künstlerischer Leiter die Anfertigung der von Hans Makart entworfenen historischen Kostüme wie auch der zugehörigen Banner. In unterschiedlichen Wiener Nähstuben und -werkstätten wurden nun fleissig Stoffe verarbeitet. Eduard Stadlin sass eigens drei Tage lang für Rückfragen der Ausführenden in der Zentrale des Festkomitees im Wiener Rathaus.
Der Zuger nahm seine Aufgabe wirklich ernst. So soll er auch lukrative Bestechungsangebote und Provisionstricksereien, welche in diesem Metier gang und gäbe waren und für Stadlin als Makarts rechte Hand durchaus profitabel hätten sein können, energisch zurückgewiesen haben. Dies war letztendlich auch der Tatsache zuträglich, dass der Festzug am Ende kein Loch in der Kasse verursachte.
Der monumentale Festumzug im April 1879 – mittlerweile auch als «Makart-Festzug» bekannt – war ein Spektakel sondergleichen. Zigtausende Menschen säumten die Wiener Boulevards und bejubelten den vorüberziehenden Pomp. Alle Tageszeitungen im In- und Ausland waren des Lobes voll über die Parade, «wie sie Wien wohl noch nie gesehen hat».
Auch das «Illustrierte Wienerblatt» publizierte im Nachgang einen lobenden Artikel und druckte an prominentester Stelle das Porträt Eduard Stadlins ab. Im Artikel würdigt der Schreibende den Zuger, sprich jenen Mann, «der in den abgelaufenen heissen Wochen alles dazu beigetragen hat, dass die Ideen Hans Makarts so herrlich zu Tage treten konnten». Eine fast übermenschliche Leistung sei es gewesen, die Stadlin vollbracht habe.
Für seine Verdienste in Wien wurde Eduard Stadlin auch in Schweizer Blättern gelobt und gefeiert. Die «Neue Zürcher Zeitung» etwa schrieb leicht zynisch, dass sich Eduard Stadlin im Ausland auf einem Gebiet auszeichne, auf dem die Schweizer grundsätzlich nicht sehr stark seien: dem des Geschmacks.
In der «Neuen Zuger Zeitung» ist im Januar 1880 zu lesen, wie selten «die ehrsamen und bescheidenen Bürger aus Stadt und Amt Zug» die Gelegenheit haben, Künstler aus den eigenen Reihen zu nennen, «deren Ruf etwas weiter über die vier Quadratmeilen hinausdringt, und noch weniger erlebt man, dass die deutsche Künstlerwelt das Werk eines [Zuger] Bürgers im Ausland in Beachtung zu ziehen sich würdigt und allgemein schätzt».
Eduard Stadlin hat seine Heimat stolz gemacht. Zugleich bezieht sich der Artikel auch auf ein weiteres Verdienst Stadlins im Zusammenhang mit dem grossen Spektakel in Wien: Der Zuger fertigte im Nachgang zum Grossanlass aus den Aquarellen Makarts Chromolithografien an und stellte diese zu einem höchst kunstvoll gestalteten Bildband mit 46 Tafeln zusammen. Auf dem ornamentierten Ledereinband ist zu lesen: «Wiens Huldigungsfestzug zur Feier der silbernen Hochzeit des Kaiserpaares nach Aquarellen von Ed. Stadlin.» Herausgegeben worden ist es bereits im Jahr 1880 beim Wiener Verlag Moritz Perles. Die Publikation wurde in der Presse allenthalben angekündigt und gewürdigt.
Eduard Stadlin dürfte viel Genugtuung verspürt haben nach all dieser verdienten Anerkennung. Jedoch hatte er nicht bemerkt, dass er an einer Herzkrankheit litt, welche sich durch all diesen «unmenschlichen» Arbeitseinsatz noch verschlimmerte: Nachdem er sich wiederholt über eine auffällige Nervosität beklagt hatte, verstarb er am frühen Morgen des Montag, 1. Februar 1881, in seiner Wohnung in Wien an einem Herzstillstand.
Das «Wiener Tagblatt» schreibt von Bestürzung über dieses unerwartete Ableben und charakterisiert den Verblichenen posthum: «Eine stattliche Figur voll Leben und Beweglichkeit und ein Mann von feuereifrigster Begeisterung, fröhlichem Sinne und einfallsreichem Humor. Lauter Charaktereigenschaften, die man bei den nüchternen Schweizern gerade nicht auffallend oft vorfindet.»
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