Für das «wechselnde Volk» unverständlich
- Andreas
- 18. Juli
- 4 Min. Lesezeit
(Artikel aus der "Zuger Zeitung" vom 19. Juli 2025 von Andreas Faessler)
In der Kapuzinerkirche Zug entfaltet sich die barocke Pracht eines Altarbilds von Caspar Letter mit seltenem Motiv – ein vielschichtiges, kunsthistorisch bedeutsames Werk mit spannender Provenienz und einem Pendant in der Ostschweiz.

Wir finden in der Kapuzinerkirche Zug wohl einen der stimmungsvollsten sakralen Innenräume in der Region. Die exponierte Lage der ehemaligen Klosterkirche und ihre grossen, nach Westen ausgerichteten Fenster sorgen für ideale Lichtverhältnisse, infolgedessen sich die Ästhetik der Altargruppe aus Eichenholz voll entfaltet. Auf diese Glanzstücke der Altarbaukunst mit Formen, die der deutschen Renaissance entlehnt sind, ist der gesamte Kirchenraum ausgerichtet.
Kostbarstes Ausstattungselement ist das Hochaltargemälde, welches dem bedeutenden flämischen Meister Denys Calvaert (1540–1619) zugeschrieben wird. Wir nehmen diesmal jedoch das Hauptblatt des rechten Seitenaltars etwas genauer unter die Lupe. Sein Inhalt und seine Geschichte sind aussergewöhnlich – und man findet es an faktisch gleicher Stelle anderswo im Lande in nahezu derselben Form wieder. Dazu später.
Das Kloster in seiner alten Gestalt
Das Ölbild zeigt Christus und Maria, wie sie dem heiligen Franziskus von Assisi und seinem Orden erscheinen, nach dessen Regel die Kapuziner leben. Es ist eine überaus vielfigurige Darstellung. Von einer Engelschar umgeben, erscheinen auf einem Wolkengebilde Christus mit dem Kreuz und Maria dem Ordensgründer. Hinter diesem kniet sein Mitbruder Leo. Unten links führen die heiligen Bonaventura, Ludwig von Toulouse, Antonius von Padua und der selige Duns Scotus eine sogenannte «sacra conversatione». Ihnen gegenüber – am rechten Rand unten – sind vier weibliche Heilige dargestellt, unter ihnen Klara von Assisi und Elisabeth von Thüringen. Sie allesamt stehen mit dem Franziskusorden eng in Verbindung.
Ein spannendes Detail ist in der Bildmitte ganz im Hintergrund zu erkennen: Über einer Kreuzesprozession sehen wir das Kapuzinerkloster von Zug. Das Besondere hierbei: Es zeigt die Klosterkirche in ihrer alten Gestalt von 1597 und dies sehr authentisch, vergleicht man es mit historischen Beschreibungen der Klostergebäude. Die Darstellung zeigt etwa die einstige Franziskuskapelle mit Turmaufsatz an der Seite.
Das Gemälde ist 1630 gemalt worden, rund ein halbes Jahrhundert vor dem Umbau der Klosterkirche zu ihrer heutigen Gestalt. Das Monogramm «C.L.» verweist mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auf den Zuger Barockmaler Caspar Letter senior (1608–1663). Die Darstellung hat ein konkretes Vorbild: ein Werk des bekannten Augsburger Malers Johann Matthias Kager (1575–1634). Der Bildinhalt geht auf den Kapuzinerpater Remigius a Bozulo (1560–1627) zurück. Der flämische Kupferstecher Raphael Sadeler der Jüngere (1590–?) hat das Motiv vervielfältigt, wodurch es den Weg durch das sakrale Europa gefunden hat. Caspar Letters Gemälde dürfte eine freie Nachahmung aufgrund eines Sadeler-Stiches sein.
Über Umwege an den heutigen Platz
Bezüglich der ursprünglichen Platzierung des über 2,5 mal 1,5 Meter grossen Letter-Gemäldes ist nichts bekannt. Es ist dokumentiert, dass es im Jahre 1851 ins neu gegründete Kloster auf dem Gubel verbracht worden ist – zusammen mit weiteren Gemälden aus dem Kapuzinerkloster, darunter der vor einigen Jahren aufwendig restaurierte 32-teilige Franziskuszyklus des Zuger Malers Jakob Warttis (1570–1646). Nach zwei Jahrzehnten kamen die Gemälde wieder ins Stadtzuger Kloster – bis auf dasjenige von Caspar Letter. Warum dies nicht retourniert worden ist, bleibt ungewiss.
Anfang der 1930er-Jahre wurde der Einsiedler Kunsthistoriker Linus Birchler (1893–1967) zufällig auf das im Kloster Gubel verbliebene Gemälde aufmerksam. Es hing dort im schmalen Stiegenhaus, nicht würdig präsentiert, daher kaum beachtet und vermutlich vergessen, wo es im Grunde hingehört. Birchler verständigte den kunsthistorisch engagierten Kapuzinerpater Magnus Künzle (1864–1941). Dieser setzte sich eifrig dafür ein, dass das Gemälde zurück an seinen angestammten Ort gelange. Er sprach den Ordensfrauen die nötige ikonografische Kenntnis ab. Künzle notiert in einer Publikation: «Der Inhalt des Bildes ist so spezifiziert, dass die guten Schwestern den zweiten Hauptteil desselben wohl gar nicht verstanden haben.» Also nützte es ohnehin nichts dort oben im Frauenkloster.
Sogar Damen dürfen es sehen
Wenig später ist das Letter-Gemälde zurück zu den Kapuzinern transferiert worden und hing hier laut Künzle zunächst in der Klosterbibliothek. Kurz darauf wird es im sogenannten Psallier-Chor lokalisiert, in jenem nicht einsehbaren Raum hinter dem Hochaltar, welcher den Patres vorbehalten ist. Dass das Gemälde nicht im allgemein zugänglichen Part der Klosterkirche platziert worden ist, begründet Pater Remigius abermals mit der anspruchsvollen Interpretation. «Es sind zu viele Gegenstände in ihm zur Darstellung gelangt, für deren genauere Kenntnis das wechselnde Volk zu wenig eingeweiht ist», notiert er dazu. Immerhin – so schreibt er weiter – darf es an seinem Standort im Psallier-Chor «auf Verlangen auch von Damen besichtigt werden».
Als 1934 die Kirche einer Innenrenovation unterzogen wurde, kamen unter den (damals) modernen Seitenaltargemälden, welche vermutlich um die Jahrhundertwende angebracht worden waren, die alten Altarblätter von Kaspar Wolfgang Muos (1654–1728) zum Vorschein. Man liess sie jedoch nicht an ihrem Ort, auch wenn ihre Qualität von Linus Birchler gelobt wird. Wahrscheinlich platzierte man im Zuge dessen das Letter-Gemälde an seinem heutigen Standort im rechten Seitenaltar und somit entgegen der Empfehlung von Pater Remigius nun doch im öffentlichen Bereich der Klosterkirche.
Ein jüngeres Pendant im Kloster Wil

Wechseln wir den Schauplatz in die sankt-gallische Stadt Wil. Das dortige Kapuzinerkloster ist das älteste dieses Ordens in der Schweiz. Die Klosterkirche birgt eine nicht minder imposante Altargruppe aus Holz. Hier stossen wir auf ein Gemälde mit identischem Inhalt und vergleichbarem Format wie dasjenige in Zug – ebenfalls am rechten Seitenaltar. Eine Gegenüberstellung zeigt die Bilder zu diesem Artikel: Die beiden Werke sind so gut wie deckungsgleich. In demjenigen von Wil ist in der Bildmitte das dortige Kloster abgebildet.
Die Wiler Version ist zwar nicht datiert, es ist aber überliefert, dass sie 1656 gemalt worden ist – vom lokalen Kirchenmaler Hans Ulrich Rysse (1619–1667). Über diesen ist biografisch verhältnismässig wenig Verlässliches verbürgt. Er hat wohl einige namhafte Aufträge ausführen können, unter anderem für die Abteien St.Gallen und Fischingen – und offensichtlich für die Wiler Kapuziner. Ob und inwiefern ein Austausch zwischen Wil und Zug stattgefunden hat, ist unbekannt. An einen reinen Zufall, dass in Wil an selber Stelle das gleiche Gemälde zu finden ist, mag man allerdings nicht glauben. Hat Rysse ebenfalls den Sadeler-Stich als Vorlage benutzt oder gar Letters rund ein Vierteljahrhundert ältere Zuger Version studiert?
Eine Gegenüberstellung beider Ausführungen von offenbar unterschiedlich geschulter Hand ist kurzweilig und spannend. Die Besonderheit dieser beiden Altarblätter liegt allein darin, dass sie ein ikonografisch ungewöhnlich vielschichtiges und vor allem sehr selten anzutreffendes Motiv zeigen.
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